Ein Beitrag von Vanessa Wilson
„Konzept einer Bauteilbörse im Kontext von Denkmalerhalt und zirkulärem Bauen“ | 19. Juni 2025 | Netzwerk Baukultur Leipzig | Förderverein der Leipziger Denkmalstiftung
Wie lassen sich historische Baumaterialien erhalten, vermitteln und wiederverwenden? Und welche Rolle spielt die Denkmalpflege bei der Bauwende? Diesen Fragen widmete sich der Themenabend in der Geschäftsstelle des Fördervereins der Leipziger Denkmalstiftung – mit einem tiefen Einblick in unser laufendes Projekt zur Entwicklung einer digitalen Bauteilbörse für historische (Bau-)Materialien.
Vom historischen Brauch zur klimabewussten Praxis
Zirkuläres Bauen: Alte Idee, neue Dringlichkeit
Schon
im antiken Pompeji wurde mit gebrauchtem Baumaterial wie Dachziegeln,
Abflussrohren oder Abdeckplatten gehandelt – darauf weist ein
spätrepublikanisches Graffito in Regio III, 7, 1 hin. Auch der
Baukulturbericht (2022/23: Neue Umbaukultur, 21.) bestätigt: Umbau,
Reparatur und Wiederverwendung waren über weite Strecken der
Geschichte die Regel, nicht die Ausnahme. Die Wiederverwendung von
Baumaterialien ist kein neuer Trend – sie war lange Zeit
selbstverständlicher Bestandteil der Baukultur.
Heute
stehen wir angesichts der Klimakrise und großer Abfallmengen vor der
Herausforderung, an diese Tradition anzuknüpfen – mit zirkulären
Strategien, innovativen Infrastrukturen und einer neuen Umbaukultur.
Ziel ist es, Ressourcen zu schonen und Materialien so lange wie
möglich im Kreislauf zu halten. Begriffe wie zirkuläres Bauen,
Cradle to Cradle oder Urban Mining prägen zunehmend den Diskurs.
Die
Realität ist jedoch oft ernüchternd: Noch immer wird vielerorts
abgerissen, was erhaltenswert wäre. Der Gebäudesektor verursacht
weltweit etwa 47 bis 53 Prozent der energiebedingten CO₂-Emissionen
– Abriss eingeschlossen. In Deutschland fallen jährlich rund 2,5
Tonnen Bau- und Abbruchabfälle pro Person an. Unser
Ressourcenverbrauch überschreitet die planetaren Grenzen deutlich:
Wir leben, als stünden uns 1,75 Erden zur Verfügung.
Denkmalpflege und Kreislaufwirtschaft – zwei Wege, ein Ziel?
Zirkuläres
Bauen setzt auf die Verlängerung von Lebenszyklen, Wiederverwendung
von Bauteilen und Erhalt von Materialien und Wissen. Ziel ist eine
Bauweise, die nicht verbraucht, sondern bewahrt.
Die
Denkmalpflege verfolgt andere Prinzipien: Sie setzt auf Bewahrung und
Weitergabe statt auf Rückbau und Materialkreisläufe. Von Natur aus
ressourcenschonend und langlebig, fokussiert sie den Erhalt von
Bausubstanz und die Sanierung mit historischen Materialien. Sie
bevorzugt Nachnutzung und Revitalisierung gegenüber Abriss und
Neubau und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Sie schützt graue Energie, bewahrt kulturelle Werte und ermöglicht Reparatur statt Ersatz. Durch diesen Bestandserhalt
werden materielle und immaterielle Werte bewahrt und weiterentwickelt
– darunter auch die kulturelle Dimension, die von der
Bundesstiftung Baukultur als „goldene Energie“ bezeichnet wird.
In
der Publikation Zirkuläre
Stadt. Zirkuläres Bauen. Denkmalpflege? heißt
es treffend:
„Denkmalpflege will nichts zurückführen in einen Kreislauf, sondern Baukultur und Denkmale dem Verwertungsprozess in gewissem Maße gerade entziehen.“
Zirkuläres
Bauen und Denkmalpflege verfolgen unterschiedliche Ansätze, stehen
aber nicht im Widerspruch, sondern laufen als weitgehend parallele
Stränge nebeneinander. Während das eine auf Rückbau,
Wiederverwendung und Materialkreisläufe zielt, konzentriert sich das
andere auf den Erhalt des Vorhandenen – materiell, kulturell und
gestalterisch. Beide Strategien eint der Respekt vor dem Bestehenden.
Zwischen
beiden Ansätzen besteht großes Potenzial für Synergien – wenn
wir Materialien als kulturelle Ressource und nicht als Abfall
begreifen.
Warum wir Bauteilbörsen brauchen
Eine
Bauteilbörse ist eine Vermittlungsstelle für gebrauchte
Materialien, meist mit Online-Plattform und Lager. Sie unterstützt
beim Ausbau, übernimmt Aufarbeitung und Logistik und stellt
Materialien für die Wiederverwendung bereit.
Funktionierende
Bauteilbörsen sind ein wichtiges Werkzeug für ressourcenschonendes
Bauen. Sie vermeiden Abfall, halten wertvolle Materialien im
Kreislauf und sparen CO₂ sowie Primärrohstoffe. Im Bereich
historischer Baustoffe tragen sie zudem zum Erhalt historischer
Bausubstanz bei und fördern traditionelles Handwerk.
Wirtschaftlich
tragfähig ist das Modell allerdings selten allein durch Handel. Häufig braucht
es ein zweites Standbein – etwa Beratung, Weiterbildung oder
Dienstleistungen. Beispiele wie der Monumentendienst zeigen, wie das
funktionieren kann.
Blick über den Tellerrand: Netzwerkstrukturen im Vergleich
Zu Beginn des Projekts stand eine Übersicht internationaler und nationaler Netzwerke im Fokus. Die Landschaft an Projekten, Initiativen und Vereinen ist vielfältig und schwer zu überblicken – sowohl in Europa als auch in Deutschland. Besonders hervorzuheben sind die Bauteilbörsen in Basel und Bremen, die als Vorreiter:innen für ein Angebot gebrauchter Baumaterialien gelten. Basel überzeugt durch ein differenziertes Netzwerk mit klar verteilten Rollen (Bauteilretter, Bauteilspender, Kommunikator:innen) und integriert soziale Aspekte wie die Beschäftigung Geflüchteter. Bremen ist eng mit dem bundesweiten Bauteilnetz Deutschland verknüpft und setzt ebenfalls auf ein starkes Partner:innennetzwerk.
Im Bereich historischer Baumaterialien spielen in Deutschland darüber hinaus Einrichtungen wie der Monumentendienst, die Berliner Bauteilbörse,
der Unternehmerverband Historische Baustoffe e. V., der Denkmalbauhof
in Halle (Sachsen-Anhalt), der Denkmalpflege-Werkhof in
Nordrhein-Westfalen, der Denkmalhof Gernewitz in Thüringen sowie das
ehemalige Bergelager im Rittergut Trebsen (Sachsen) eine wichtige
Rolle.
Diese
Beispiele zeigen: Der Erfolg einer Bauteilbörse hängt maßgeblich
von funktionierenden Partner:innenschaften, digitaler Sichtbarkeit und
handwerklicher Kompetenz ab.
Zwischen Bedarf und Bestand
Parallel zur Konzeptarbeit wurden Umfragen bei Denkmalschutzbehörden, Eigentümer:innen und Initiativen durchgeführt, um den Bedarf für eine digitale Bauteilbörse besser einzuschätzen. Bei Denkmalschutzbehörden zeigt sich, dass viele eigene, teils unsortierte Bauteillager mit eher archivalem Charakter bestehen, die kaum praktisch für Wiederverwendung genutzt werden. Eine Bauteilbörse wird hier als sinnvoll und notwendig erachtet, da bisher klare Anlaufstellen und Zuständigkeiten fehlen.
Die Umfrage unter Eigentümer:innen und Vereinen läuft noch. Ziel ist es, Erfahrungen, Bedarfe und bevorzugte Bauteilarten zu erfassen sowie die Bereitschaft zu klären, längere Wege für den Bezug von Bauteilen in Kauf zu nehmen.
Die Dringlichkeit für eine funktionierende Bauteilbörse wird deutlich, wenn man die Denkmallandschaft betrachtet: In Deutschland gibt es über 22 Millionen Bestandsgebäude, davon rund 660.000 Baudenkmale – etwa 2,9 Prozent. Im Jahr 2022 wurden 12.572 Gebäude abgerissen, zwei Drittel davon aus der Zeit nach 1949. Trotz leicht rückläufiger Abrisszahlen geht mit jedem Abbruch wertvolle Substanz verloren.
In Sachsen stehen rund sechs Prozent aller Gebäude unter Denkmalschutz, etwa 101.000 Kulturdenkmale – darunter Schlösser, technische Denkmale, Kirchen, Gartendenkmale und Umgebindehäuser. Zwischen 2000 und 2017 wurden knapp 5.000 Denkmale teilweise oder vollständig abgerissen, mit einer steigenden Tendenz in den Jahren 2014 bis 2017.
Der Markt für historische Bauteile in Sachsen ist klein und spezialisiert, doch der Umgang mit denkmalgeschützter Bausubstanz gewinnt zunehmend an Bedeutung. Gerade dort, wo historisches Baumaterial gerettet werden kann, bietet eine Bauteilbörse klare Chancen für Kreislaufwirtschaft und Erhalt.
Vielfalt historischer Bausubstanz
Die Denkmallandschaft ist vielfältiger als häufig angenommen und suggeriert wird: Neben traditionellen Fachwerkhäusern gehören längst auch Gebäude der Nachkriegsmoderne dazu – mit anderen Materialien, Bauweisen und Herausforderungen.
Grundsätzlich eignen sich vor allem Ausbau- und Oberflächenmaterialien wie Türen, Ziegel, Naturstein sowie Wand- und Bodenbeläge gut für die Wiederverwendung. Schwieriger ist dies bei tragenden oder normativ relevanten Bauteilen, wie Wänden oder Stahlstützen, die besonderen Anforderungen genügen müssen.
Im Projekt Bauteilbörse lohnt sich dennoch der Blick über die klassischen Bauteile hinaus, um den Markt für historische Bauteile – insbesondere in Sachsen – besser einzuordnen und die Vielfalt des Bestands angemessen zu erfassen.
Die Praxis im Test
Aktuell läuft am Institut für Baustoffe und Bauverfahrenssimulation der HTWK Leipzig eine Masterarbeit zur praktischen Vertiefung des Themas.
Am Beispiel der Spinnmühle Wolkenburg wird ein prototypischer,
fachlich fundierter Prozess zur digitalen Erfassung und Bewertung
historischer Bauteile wie Türen oder Geländer entwickelt – mit
dem Ziel, ihr Potenzial für die Wiederverwendung im Sinne des
zirkulären Bauens systematisch zu erfassen.
Diese
Arbeit schafft eine verlässliche Grundlage für den Umgang mit
historischen Bauteilen im Bestand und fördert die stärkere
Verzahnung von Denkmalpflege und nachhaltigem Bauen. Durch die
strukturierte Aufbereitung relevanter Daten wird die Wiederverwendung
dokumentierbar, zugänglich und nutzbar gemacht.
Das
Projekt zeigt beispielhaft, wie digitale Werkzeuge den Erhalt von
Baukultur und Ressourcenschonung praktisch verbinden können und
leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Bauwende.
Das Projekt des Denkmalnetzes: digital, vernetzt, praxisnah
Von dem Mehrwert digitaler Vernetzung ausgehend, konzipiert das Denkmalnetz Sachsen keine klassische Bauteilbörse mit Lager, sondern auf eine digitale Plattform. Ziel ist es, Eigentümer:innen, Initiativen, Fachleute und Händler:innen zusammenzubringen – mit Angeboten, Austauschformaten und Informationen rund um Rückbau, Lagerung und Wiederverwendung historischer Bauteile. Geplant sind u.a.:
- Eine digitale Vermittlungsplattform für historische Baumaterialien,
- Modulare Weiterbildungsangebote zu Rückbau, Bewertung und Wiederverwendung,
- Beratung und Unterstützung beim Aufbau lokaler Bauteilbörsen und Materiallager,
- Veranstaltungsformate zur Vernetzung und Sichtbarmachung von Akteur:innen und Wissen,
- Enge Kooperationen mit bestehenden Netzwerken der Bauwende und Hochschulen.
Die neue Plattform erweitert das Angebot des Denkmalnetzes – sie ergänzt Website und Denkmalradar um eine praxisnahe Vermittlungsstruktur, die Angebot und Nachfrage direkt zusammenbringt. Die Digitalisierung eröffnet dabei neue Möglichkeiten: Sie vernetzt Akteur:innen überregional, löst uns von festen Standorten und sorgt mit klaren, transparenten Prozessen für mehr Rechtssicherheit und Vertrauen – eine solide Basis für nachhaltiges Handeln.
Wie kann die Bauwende in Sachsen gelingen?
Unsere Antwort: mit vielen kleinen Schritten – und mit vielen Menschen. Durch Austausch, Vernetzung und neue Kooperationen. Und in unserem Fall: mit der Denkmalpflege als Vorbild – wenn es um Langlebigkeit, Ressourcenschonung und Reparaturfähigkeit geht.
Die Denkmalpflege zeigt, wie Bauen über Generationen hinweg Bestand haben kann. Genau dort setzt unsere geplante Bauteilbörse an: als verbindendes Element zwischen Bestand und Zukunft, zwischen Material und Mensch.
Die Bauwende ist kein fernes Ziel, sondern ein Prozess – einer, den wir gemeinsam gestalten können. Unsere Bauteilbörse soll dazu einen konkreten Beitrag leisten.
Weitere Informationen zum Projekt folgen in Kürze hier auf unserer Webseite.
Fotos: DNS, Toralf Zinner und DNS, Lena Lemke


